Platon berichtet im Dialog „Menon“ über Sokrates Behauptung, dass man nichts suchen kann, was man nicht kennt, dass also alles Lernen in Wirklichkeit nur Wiedererinnern ist.
Im von Platon geschilderten Beispiel verwendet Sokrates offensichtlich eine suggestive Methode, verbunden mit Verwirrtechniken, um dem berühmten Sklavenknaben, dem Symbol der Unwissenheit, das Wissen um die die Verdoppelung eines Quadrates zu entlocken. Ähnliche Techniken verwendet die Suggestopädie.
Demnach ist Sokrates‘ Lehrmethode vergleichbar mit der Tätigkeit einer Hebamme (wie die Tätigkeit seiner Frau, Xanthippe). Sokrates produziert kein Wissen, ebensowenig, wie eine Hebamme das Kind produziert, er hilft dem Lernenden, das Wissen auf seine Welt, in sein Bewußtsein zubringen, wie die Hebamme das Kind der Gebärenden in die Welt der Gebärenden bringt.
Er hat damit eine völlig andere Lehrmethode beschrieben als die „traditioneller“Lehrender: Statt von aussen nach innen: Ein Lehrer lehrt den Lerner – vollzieht sich Lehren von innen nach aussen: Ein Lernbegleiter hilft einem Lernenden, sich seines Wissens bewusst zu werden. Korrekter, die Lernbegleitung hilft, neues Wissen wie eigene Erfahrungen anzueignen und damit Hemmschwellen, Lernängste und Lernhemmnisse herabzusetzen.
Ebenso wenig wie ein Kind etwas Neues ist, sondern nur eine weitere Kopie des (Genpools des) Menschen, ist daher, so glaubt Sokrates, das Wissen etwas Neues, sondern nur eine weitere Kopie der universalen Ideen. Diese Ideen existieren in irgend einer Form bereits vor dem Lern- Geburts- Erinnerungsprozess. Kohelets Satz „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ spricht von dieser Weisheit und empfiehlt Gelassenheit, taoistisches Nichtstun.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Aristoteles, ein Schüler Platons, diese Theorie in seine Vorstellungen vom Lernprozess einbaut. Der Besitz von Sinneswahrnehmungen ist allen Lebewesen angeboren. Aus der Sinneswahrnehmung Verhalten abzuleiten, gehört zu den Funktionsmechanismen jedes Lebewesens, zum Beispiel den Reflexen oder komplexen Reaktionsmustern, wie der Partnerwerbung oder dem Brutverhalten. Einige Lebewesen können sich an diese Sinneswahrnehmungen erinnern. Diese seien gelehriger als andere.
„Während nun die anderen Lebewesen ihren Vorstellungen und Erinnerungen leben und nur geringer Erfahrung teilhaftig werden, lebt die Menschengattung auch aus der Kunst und dem schlußfolgernden Denken.“ (Met 980b 28-31)
Nur für den Menschen entsteht aus der Erinnerung Erfahrung.
„Die Erfahrung scheint nahezu das gleiche zu sein wie Wissenschaft und Kunst“(Met 981a)
Diese Erfahrung wird mitgeteilt, erzählt, berichtet, es bildet sich eine gemeinsame Auffassung, aus der gemeinsamen Auffassung ergibt sich die Fähigkeit zu Abstraktion. Aus der Erfahrung, der Kenntnis von Einzelfällen entstehen auf andere ähnliche Fälle anwendbare Regeln. Diese nennt Aristoteles „Kunst“, die Kenntnis des Allgemeinen. Aus dieser entsteht als höchste Entwicklungsform die Wissenschaft als Lehre von den Ursachen und Quellen, damit die Weisheit. Diese wiederum wirkt auf andere Weise handlungsbegründend als einfache Sinneseindrücke. Wenn sich nun Kunst und Erfahrung verbinden, entsteht wirksames Handeln.
Trotz dieser komplexen Herangehensweise von Aristoteles sind viele Lehrkräfte stolz auf ihre die archaische, vorsokratische „Vormachen, Nachmachen, Kontrollieren, Üben“ Methode, welche in der Scholastik und in Koranschulen dominierte und dominiert. Diese Methode setzt ganz auf die Macht der Lehrenden und auf den einseitigen Informationstransport von Lehrer zum Lerner. Fragen reduziert sich auf das Abfragen. Auch der Genuss liegt auf der Seite der Lehrenden. Das macht die Lernenden oft lustlos.
Sokrates‘ Methode ist daher immer wieder und immer noch aktuell, überraschend und neu.
Mnemotechniken sind also sowohl Techniken um etwas zu speichern, sich etwas zu merken als auch Techniken zum Erinnern.
Es ist also nicht nur, wie mit der PEG-Methode zu lernen, wie ich Erinnerungsgegenstände in einem fiktiven Raum verteile, sondern ich sollte auch lernen, diese Erinnerungsgegenstände wiederzufinden.
Das Gehirn nimmt über alle Sinne ununterbrochen Informationen auf und verarbeitet sie mit Verknüpfung, Assoziation und vielen anderen Methoden. Dies geschieht in der Regel unbewusst. Die Klassifikation von Eindrücken, deren Reduktion, Abstraktion, Neuformierung, Verknüpfung mit bisherigem Wissen und so fort ist ein ständiger unaufhörlicher Prozess. Schlafphasen, Tagträume und geistige Abwesenheit sind Phasen, in denen sich die Datenbanken im Gehirn quasi reorganisieren.
Wenn uns diese Prozesse bewusst wären, wären wir im Zustand von Epileptikern. Unser „Hirncomputer“ würde abstürzen, wir würden „den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“, würden nicht durchsehen, wären überfordert und Ähnliches.
Deshalb hat das Gehirn Mechanismen entwickelt, die uns vor zu viel Bewusstheit schützen. Körpereigene Stoffe, welche an Schmerzmittel erinnern, wie Endorphine, psychische Hemm- und Verdrängungsmechanismen, vernünftige Ordnungsstrukturen und Glaubenssysteme strukturieren Wahrnehmung und schützen vor Überlastung des Gehirns. Gleichzeitig hemmen sie aber auch die Übertragung von Informationen aus dem unbewussten Bereich in den bewussten Bereich.
Möglichkeiten des Eindringens in diese geschützten Bereiche sind:
- Drogen. Unter dem Einfluss von Drogen wie MDMA oder LSD werden diese Schranken heruntergefahren und unsere Bewusstheit mit Sinneseindrücken überschwemmt. Bei ungünstiger mentaler Verfassung und in ungünstigen Umgebungen (vgl. Timothy Leary über Set und Setting) kann es zu schweren Schädigungen der Psyche kommen, weil diese Freisetzung von Erfahrungen und unverarbeiteten Sinneseindrücken nicht bewältigt wird.
- Mystische Erfahrungen wie die von Meister Eckhart, Gertrud von Helfta oder Hildegard von Bingen, welche aus Meditation, aber wohl auch oft aus der Wirkung des Mutterkorns, eines LSD-haltigen Getreidepilzes, entsprungen sind.
- Askese, also der Verzicht auf Nahrung oder die Reduktion von Sinneseindrücken
- Ähnliche Effekte wie Drogen können mit Meditationen, Frageketten (NLP) und Hypnose erreicht werden. Dabei werden ebenfalls Schranken beiseite geräumt und Türen geöffnet um Lernhemmnisse zu beseitigen. Jede Frage hat einen hypnotischen Anteil, weil sie innere Bilder aktiviert.
- Freies Assoziieren in Brainstormings.
- Gruppenarbeit, bei denen eine/r die anderen auf Ideen bringt, auch durch den eingeborenen Widerspruchsgeist der Menschen.
- Storytriggering, bei dem Geschichten durch Fragen oder andere Geschichten ausgelöst werden.
- Körperarbeit, bei der durch Überlastung des Körpers Halluzinationen und Herabsetzung von Hemmschwellen erzeugt werden.
- Flow (vgl. Mihaly Csikszentmihalyi), bei dem im völligen Aufgehen und Vertiefen in einer Tätigkeit ein besonderer Bewusstseinsstatus, ein Schaffensrausch, erreicht wird.
- Serendipity, das glückhafte Finden an Stelle des Suchens, welches in Zuständen der geistigen Abwesenheit, der Nichtkonzentration, des Abschweifens, auch als Nebeneffekt moderner vernetzter Informationssysteme wie des Internet und von Suchmaschinen und Wörterbüchern entsteht.
- Groteske, Karneval und Theater, welche das Ausleben von Persönlichkeitsanteilen erlauben.
- Symbolhandlungen,welche die Aufmerksamkeit so fokussieren, dass die Schutzmassnahmen vernachlässigt werden, dazu gehören Aufstellung, Statuentheater und Rollenspiele. Historisch sind hier Riten, Liturgien und Zeremonien zu finden.
- Durchbrechen, Verletzung der Ordnung des Symbolischen (vgl. Lacan), also bewusste Störungen in der Benutzung von Sprache und Diskurstechniken, dazu gehören Wortspiele, Veränderungen in der Beziehung von Signifikanten und Signifikaten. Hierzu gehören hypnotische Sprachmuster nach Milton H. Erickson. Allein, die „symbolische Ordnung kann nicht das Reale als solches symbolisieren, obwohl gerade das Reale der Ort ist, auf den die Signifikanten verweisen. Die symbolische Ordnung, der große Andere, ist deshalb immer unvollständig, löchrig, und deshalb gebarrt/durchgestrichen. Lacans Mathem für diese Unvollständigkeit ist S (A).“(vgl.: Wikipedia)
- Erzeugung von Begehren jeglicher Art, aus dem Interesse, Neugier, aus Verwirrung folgendes Ordnungsbedürfnis oder Aufklärungswillen entstehen. (Wiederherstellung neuer Ordnungen des Symbolischen).