Coole Photos und jede Menge Geschichten zum alltagsphilosophischen Erleben in unserer Zeit liefert das Philosophie-Magazin 1/2015 wieder. Zwei Artikel möchte ich besonders ansprechen:
Zauberpilze können bei der Entstehung von Religionen mitgewirkt haben
Airen ist wieder da, der Autor von „Strobo“, von dem eine gewisse Helene viel gelernt haben soll. Airen berichtet über mexikanische Zauberpilze und deren Einbindung in die religiöse Lebensweise der Azteken.
Wie immer berichtet Airen aus erstem Mund, weil er probiert hat, wovon er rede
t. Und seit William James (1842-1910) wissen wir philosophisch Belesenen, dass Drogen durchaus eine Rolle bei der Entstehung der Religionen gespielt haben können. Meiner Auffassung nach allerdings weniger bei der Entstehung der religiösen Erzählweise, welche für mich die mythische und ursprüngliche ist, als bei der Begründung, bei den wirklichen Grunderlebnissen der Mystiker_innen, welche dann mythisch berichtet wurden. Die Rolle der Zauberpilze spielte allerdings in Europa wohl das Mutterkorn, ein Getreidepilz, welcher LSD enthält.
Das bringt mich auf den Unterschied zwischen Mystik und Mythos, welcher nicht vernachlässigt werden sollte.
Pauschalisierung ist der Sprengsatz der Philosophie
Das Titelthema des Philosophie-Magazin 1/2015 ist „Herkunft“ und die Blattmacher lassen unter Anderen Sloterdijk zu Wort kommen. Und Sloterdijk liefert:
„Die Jungen leben bereits in einer anderen Umwelt … in einer den Älteren unverständlichen Technosphäre … Wir blicken nicht länger auf eine Zukunft hinaus, die als Derivat von Herkunft definiert werden könnte … Die jungen Leute der Gegenwart können mit knapper Not noch an die galileische Weltform oder die Bacon-Welt anknüpfen … „
Ich bin sicher auch nicht verschont von dieser Sprechweise. „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie.“(Johannes 8,1-11 ELB), aber da regt sich doch mein Moderatorenverstand und ich frage: „Alle?“, „Nur die jungen Leute?“ und „Woher wissen Sie das?“ Das sind so die Gründe weshalb ich Sloterdijk wohl als großartigen Kulturwissenschaftler und Künstler, nicht aber als Philosophen sehen kann.
Was soll das? Zukunft ist nicht der Korrespondenzbegriff zu Herkunft, sondern von Vergangenheit. Und dass Zukunft immer eine in der Gegenwart erzählte offene Geschichte ist, wie die Vergangenheit immer eine in der Gegenwart aus den aufgefundenen Resten konstruierte (und immer neu konstruierte) offene Geschichte, das sollte ein Philosoph nun schon wissen. Und diese Zukunftserzählung, welche wir auch unter dem Namen Hoffnung kennen, leitet sich immer aus den Erzählweisen von Vergangenheit her. Das ist heute und bei den Jugendlichen nicht anders, als es von 2500 Jahren war und bei den damals so jungen Philosophinnen und Philosophen.
Die Frage nach dem Ursprung verdanken wir unter anderem Aristoteles, welcher die Suche nach dem Ursprung zur Aufgabe der Philosophie gemacht hatte. Aristoteles schreibt in einem unter dem Namen Metaphysik zusammengefassten Buch:
›Das Wesen ist der Gegenstand unserer Betrachtung; denn die (substantiellen) Prinzipien und Ursachen der Wesen werden gesucht.‹
Hier bin ich mir unsicher geworden, ob hier nicht eines der Urmissverständnisse der Philosophie wie der Wissenschaften zu finden ist, das besagt, die Wissenschaft forsche nach den Ursachen, gar nach den letzten Ursachen der Dinge.
Ist es nicht vielmehr so, dass die Wissenschaft nach Folgen sucht? Vielleicht ist es unmöglich, nach Ursachen für Seiendes zu suchen, denn diese Ursachen sind im Strom der Zeit verschollen und können bestenfalls aus dem jetzigen Verhalten der Sachverhalte im Analogieschluss interpretiert werden! Ursachen zu suchen liegt in der wissenschaftlichen Erzählweise begründet. Aber eben nicht reduziert auf die Frage:“Warum hast Du das getan?“, sondern: „Gibt es einen Zusammenhang zwischen zwei Tatsachen, der auf Wiederholbarkeit, damit auf die Chance einer technischen Entwicklung hinweist?“
Der von Sloterdijk entdeckte „Lebenswelt-Gap“ hat schon immer zwischen den Generationen existiert, ja definiert die Generationen geradezu. Mehr noch, es scheint die ermüdende Wiederholung des Satzes „Die Jugend von heute …“ zu sein.
Es scheint mir klar zu sein, dass Jugend mehr an den Folgen von Vergangenheit für ihre Zukunft interessiert ist, denn der größte Teil ihres Lebens wird sich dort abspielen – und dass Alte mehr an der Vergangenheitskonstruktion interessiert ist, denn ein Großteil ihres Lebens hat sich dort abgespielt.
Es ist in der letzten Zeit modern geworden, die Leistungen der Aufklärung in Frage zu stellen und in mehr oder weniger verschlüsselter Form dazu aufzurufen, archaischere Formen des Weltverstehens zu mobilisieren, zum Beispiel, (Überraschung!) die Religionen. Islamisten haben das verstanden.
Bei Sloterdijk heißt das, wenn ich ihn richtig verstanden habe, „progressiver Konservatismus“. Aha. Aber natürlich merkt er selbst, was er sagt und fügt das Wort „ironisch“ hinzu. Ironischer progressiver Konservatismus. Das wäre doch mal eine Partei, die niemandem weh tut.
Aber lesen sie selbst.