Jane Doe, Erinnerung und Storytelling

Elizabeth Loftus und Melvin J. Guyer sind anerkannte Forscher auf dem Gebiet der Erinnerung. Elizabeth Loftus ist berühmt geworden unter anderem durch ihre Beiträge zum menschlichen Gedächtnis und insbesondere durch ihre wissenschaftlichen Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Augenzeugenberichten.

Frau Loftus denkt auch nach über „memory engineering“ (Video 33:29) zur Veränderung von z.b. Essverhalten, basierend auf ihren Forschungen zur Implantation von Erinnerungen. In der fremd- wie in der selbstgesteuerten Therapie kann dieses Verändern von Geschichten sowohl zum Schlechten (Verstärkung oder Implantation von schlechten Erinnerungen als subjektiver Realität) als auch zum Guten genutzt werden.

In ihrem Text „Who Abused Jane Doe? The Hazards of the Single Case History“ stellen sie fest, dass fallbasierte Forschung, wie sie von Freud, Bettelheim oder Wilbur bekannt ist, große Wirkung auf das wissenschaftliche wie auf das nichtwissenschaftliche Publikum haben, abhängig von der Fähigkeit dieser Autoren, gute Geschichten zu erzählen.

Genau das ist das Problem von wissenschaftlichem Storytelling, nicht die Fakten, sondern die Erzählweisen entscheiden oft über die Glaubwürdigkeit einer wissenschaftlichen Theorie.

Auch Erinnerungen sind Geschichten, welche nach den erlebten Ereignissen erzählt werden. Doch das Erlebte und das Erzählte sind zwei völlig unterschiedliche Formen der Wahrnehmung. Das Erlebte geht bereits durch Wahrnehmungsfilter, der so genannte Campinganhänger-Effekt (Seitdem Sie darüber nachdenken, ob Sie sich einen Campinganhänger kaufen sollen, sehen Sie überall Campinganhänger herumfahren und -stehen, wo Sie vorher keine gesehen haben) beeinflusst das was Sie aktiv wahrnehmen. Noch mehr ist die Erzählung vom Erlebten, also die Erinnerung, immer eine Konstruktion post festum, also nach dem Sinneseindruck.

Für die überzeugende wissenschaftliche Argumentation sind Anekdoten, Fälle, oft entscheidend, aber sie begründen keine Wahrheit, eine Wahrheit wird auf der einen Seite empirisch nur durch ständigen Vergleich von möglichst vielen Beobachtungen mit der wahrnehmbaren Wirklichkeit und auf der anderen Seite durch vorhersagbare Ereignisse auf Grund bisheriger Erfahrungen (Wenn … dann), also der inhärenten Logik begründet.

Wissenschaftliche Argumentation muss also zwingend und immer klar stellen, auf wie vielen Fällen der Beobachtung die wissenschaftlichen Vermutungen beruhen und dann klar machen, dass die Schlussfolgerungen selbst Hypothesen sind, welche im weiteren Forschungsprozess verifiziert oder falsifiziert werden.

Gute Erzählungen, Mythen, sind auch in der Wissenschaft notwendig, um Ergebnisse zu popularisieren, Wissenschaftler*innen sollten deshalb das Erzählen lernen. Gute Erzählungen sind aber nicht notwendig, um die Wahrheitsgrade von Aussagen zu bestimmen, dafür ist nur die wissenschaftliche Erzählweise, der Logos, geeignet.