Natürlich wusste Platon, dass er, gleich nachdem sein Kopf aus dem Nebel auftauchte und das Licht der Welt der absoluten Ideen erblickte, die Leiter unter ihm wegstossen musste. Das Licht aber war so überwältigend, die Einsicht so durchdringend, dass ihn, wie vor ihm schon und nach ihm noch so vielen die Angst überkam und er wieder herabstieg in die Vorstellungswelt, die er kannte, die ihm vertraut war. Da verschwand die Leiter.
Alles was ihm blieb, war die verblassende Erinnerung an diese herrliche Welt, alles was ihm blieb, war, seine Träume und Erinnerungen von dieser Welt in Mythen zu fassen. Und das Bewusstsein seiner Schwäche, seiner Feigheit, die ihm aus jeder Zeile seines Werkes entgegen schrie, machte ihn im Alter zu einem verbitterten Menschen, welcher sich eine Diktatur wünschte, weil er selbst einen Zwang, einen Herrscher gebraucht hätte in diesem einzigen Moment, in dem von ihm Freiheit gefordert war.
Er versah die Welt der absoluten Ideen, von der er nur mehr träumen konnte, mit Superlativen als so gewaltig, so überragend, so riesig, so als höchste Stufe der Bewusstheit, dass es verständlich erscheinen sollte, dass selbst er, der ‚große‘ Denker, diesen letzten Schritt nicht gewagt hatte.
Angeregt durch eine Geschichte von Dürrenmatt (Friedrich Dürrenmatt: Der Tod des Sokrates)
Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Head_Platon_Glyptothek_Munich_548.jpg (Gemeinfrei)