Platon, der Jäger und Aristoteles, der Sammler

Aspasia ist heute verbittert. Sie hat ein Seminar eines koreanischen Professors besucht, welcher die Leistungen der Vorsokratiker verachtete, um seine These zu belegen, dass es einen wesentlichen Unterschied zwischen chinesischer und europäischer Philosophie gäbe. Sie schimpft:

„Platon hat die Philosophie kaputt gemacht und Aristoteles hat die Reste zusammengefegt. Und diese Beiden werden bis auf den heutigen Tag als Philosophen bezeichnet!
Kein Wunder, dass die etablierten akademischen Philosophen und die das Christentum mordenden Kirchen diese beiden Ganoven als ihre heiligen Lehrmeister feiern.
Dabei hätte doch der offene Intellektuellenhaß von Sokrates allen die Augen öffnen können.“

Tatsächlich gilt es als ausgemacht, dass Platon und sein Schüler Aristoteles die größten und ersten wirklichen Philosophen seien. Was verwundert, ist, dass ausgerechnet die Lehren dieser beiden Heiden die Basis für 2000 Jahre christlicher Theologie bildeten bis hin zur scholastischen unkritischen ständigen Wiederkäuerei von Autoritäten. Erst Francis Bacon, Descartes und Spinoza haben diesem Treiben um 1600 ein Ende gemacht und dem menschlichen Denken wieder die Chance auf Wissenschaft gegeben.

Auch die chinesische Philosophie, wie sie zum Beispiel von Lao-Tse und Konfuzius überliefert wurde, wurde durch 2000 Jahre Theologie ausgenutzt und erst unter moderner Betrachtung entfaltet sich der ganze Reichtum des antiken Denkens, vor allem der Dialektik von Lao-Tse.

Die Philosophen und Philosophinnen vor Platon, deren erster Thales und deren letzter Sokrates gewesen sein soll, so jedenfalls nach der klassischen Philosophiegeschichtsschreibung, wurden als naiv, spekulativ, unwissenschaftlich verspottet, nicht ernst genommen. Selbst Karl Marx hat die Vorsokratiker, wenn auch mit einer gewissen Begeisterung, als normale Kinder bezeichnet.

Unter modernen Gesichtspunkten erscheinen allerdings Auffassungen wie die von Heraklit in überraschendem Licht:

Fragment 112. Stobaios 3:
sôphronein aretê megistê kai sophiê alêthea legein kai poiein kata phusin epaiontas.
Verständigsein ist die wichtigste Tugend und die Weisheit besteht darin, das Wahre zu sagen und zu tun, auf die Natur hinhorchend.

Wenn man bedenkt, dass von all diesem Wissen nur Fragmente erhalten sind und diese oft von Epigonen oder Feinden, wiegt das noch schwerer in der Beurteilung der Funktion von Platon und Aristoteles als der vorläufigen Terminatoren fruchtbaren philosophischen Denkens. Und es überrascht nicht, dass dieser Gedanke nicht etwa durch akademische Philosophen, sondern durch Schriftsteller immer wieder ins Gespräch gebracht wird.